Rituelle Gewalt und Vermischung von Themen

Inzwischen sind Seitens der Opfer Ritueller Gewalt mehrere Stellungnahmen veröffentlicht worden. Was bereits vor Wochen durch andere Plattformen festgestellt wurde, die Verwendung anderer Begriffe, stellt sich nun als eines von vielen Problemen innerhalb der Diskussion dar.

Einige Quellen haben meines Erachtens den Artikel nicht gelesen und sich nur wenig zur aktuellen Debatte informiert. So hat man im KidZ-Podcast das Bistum München erwähnt, anstatt Bistum Münster. Auch der weitere Inhalt des Podcasts zeigt Probleme auf, da die Sprecherin und der Sprecher Rituelle Gewalt als etwas verstehen, was auf Regelmäßigkeit beruht.

Eine H. C. Rosenblatt bezeichnete den Spiegel-Artikel als einen Artikel mit PLURV. Einen Kern des Problems trifft der Artikel allerdings sehr gut:

Ebenfalls nicht im Text: der lange Arbeitsweg zu einer fachlichen Definition des Begriffs „organisierte Rituelle Gewalt“. Allein im „Infoportal Rituelle Gewalt“ sind 19 Definitionen aufgelistet.

Selbst beim UBSKM und den dazugehörigen Arbeitsgruppen (Nationaler Rat, Betroffenenrat, Aufarbeitungskommission) findet man neben der offiziellen Definition weitere unterschiedliche Beschreibungen zu ritueller Gewalt.
Das Magazin Der Spiegel nennt keine Definition, sondern schildert lediglich die Form ritueller Gewalt, wie Frau Weber sie im Rahmen der Therapie hat eingetrichtert bekommen. Generationen übergreifender ritueller Missbrauch durch satanische Kulte.

In all den Stellungnahmen trifft man immer wieder auf unterschiedliche Definitionen Ritueller Gewalt. So finden sich letztendlich auch Menschen zusammen, die eigentlich von vollkommen unterschiedlichen Dingen reden. Die Diversität reicht von einem Ritual, im Sinne von Regelmäßigkeit, über sexuellen Missbrauch, bis hin zu organisierter sexueller Gewalt bei Kinderpornographie.
So spiegelte sich in all den Reaktionen oftmals eine Verallgemeinerung wieder und es wurden sogar Horrorszenerien vermutet, die gleich zur Schließung aller Beratungsangebote führen würden oder gar zur Leugnung sexuellen Missbrauchs allgemein.

Was in meinen Augen vielmals vernachlässigt wurde sind die fachlichen Aspekte. In keiner der Stellungnahmen, seitens der Rituellen Gewalt Vertreter, wurde darauf eingegangen, dass ein Ändern der Augenfarbe geäußert wurde oder Peer Briken selbst eingestand, dass er für Mind-Control keine Evidenz vorweisen könne. Nach Aussage des Spiegels änderte Brigitte Bosse sogar ihre Vortragsfolien zur Dissoziativen Identitätsstörung und entfernte Begriffe wie Programmierung daraus. Das Problem scheint also durchaus bekannt zu sein, wenn man nach Kritik strittige Aussagen wieder entfernt. Wie kann so ein Verhalten interpretiert werden, wenn man sich trotz besseren Wissens immer wieder solcher Aussagen bedient?
 
Ein Vorwurf, dass der Spiegel Artikel PLURV beinhalten würde, impliziert ebenso, dass Pseudo-Experten für den Artikel hinzugezogen wurden. Hauptsächlich wurden allerdings Vertreter der Szene zu fachlichen Positionen befragt. Um keinen Autoritätsfehlschluss zu unterliegen, sollte man allerdings auch Aussagen echter Experten einer kritischen Betrachtung unterziehen.
 
In manchen Stellungnahmen wurde von Belegen ritueller Gewalt gesprochen, ohne jedoch auch nur eine einzige Quelle zu benennen. Fälle wie der Missbrauchsskandal von Lügde wurden einige Male mit ins Feld gezogen, haben jedoch (je nach Definition) nichts mit ritueller Gewalt zu tun - es fehlt an einem ideologischen Tatmotiv.
Diese Tat fällt mehr in den Bereich organisierte sexuelle Gewalt, da sexuelle Handlungen und Verbreitung von Kinderpornographie in einem organisatorischen Kontext stattfanden. Je nach Definition könnte man allerdings alles als rituelle Gewalt bezeichnen, was kaum zielführend sein kann, um ein Problem an der Wurzel zu packen. Geht es wirklich darum zu mehr Aufklärung beizutragen, oder die eigene Agenda aufrecht zu erhalten?

Ebenso die Stellungnahmen der Aufarbeitungskommission und des Betroffenenrats lassen eine fachliche Würdigung zur Diskussion vermissen. Vielmehr werden die Vorwürfe indirekt bestätigt. So versucht die Aufarbeitungskommission ein fachliches Arbeiten zu den Studien in der Form zu untermauern, indem sie in der Stellungnahme folgendes aufführte:

Ausgewertet wurden mit qualitativen Methoden schriftliche Berichte von Betroffenen und Anhörungen der Kommission, in denen organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt beschrieben wurden. Den Projekten lagen außerdem Daten aus zwei anonymen Online-Befragungen von Betroffenen sowie von psychosozialen Fachpersonen zugrunde. Letztere gaben an, Betroffene professionell begleitet zu haben. Die Forschungsarbeiten an anonymen Teilnehmenden haben die Glaubwürdigkeit der Angaben nicht infrage gestellt, diese aber auch nicht überprüfen können.

Es wird bestätigt, dass die zur Verfügung stehenden Daten nicht geprüft werden konnten. Dies alleine reicht schon aus, um die Ergebnisse der Studien nutzlos zu machen.

Absurder wird es dann, wenn weiterhin folgendes geschrieben wird:

Die Schlussfolgerung, es gäbe keinerlei Belege für rituelle Gewaltkontexte weist die Kommission auf der Basis der ihnen vorliegenden Berichte und der Studien in dieser Pauschalität zurück.

Man nimmt die Studien, von denen man selbst sagt die Datenlage sei nicht überprüfbar, als Beweis für die eigenen Behauptungen.

Es gibt eindeutig sexuelle Gewalt, in einem gewissen Ausmaß auch rituelle Gewalt (je nach Definition). Die Leugnung dessen ist jedoch nicht Bestandteil der Diskussion. Dies wird allerdings immer wieder als Vorwand aufgegriffen, um ein weltweit umspannendes Netzwerk von Satanisten mit Kanibalismus, Züchten von Kindern und allen Gräueltaten indirekt zu rechtfertigen.

Was ebenfalls immer wieder aufgegriffen wurde, ist die angebliche Leugnung der Dissoziativen Identitätsstörung und dass diese Krankheit eigentlich ausreichend erforscht sei. Nach einem weltweiten Konsens geht man von der Existenz einer DIS aus. Dies bedeutet, dass man verschiedene Symptome unter dem Namen Dissoziative Identitätsstörung klassifiziert. Jedoch ist fraglich, welche Validität zum Beispiel Masterarbeiten besitzen, deren Inhalt auf mangelhaft durchgeführten Studien aufbaut.
Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass nach Gewinn neuer Erkenntnisse die Klassifizierung überarbeitet wird. Dies betraf zum Beispiel im großen Umfang den Bereich Persönlichkeitsstörungen im Wechsel von ICD-10 nach ICD-11.

Fakt ist, dass es psychische Erkrankungen gibt, die weitaus besser erforscht sind. So kann man beispielsweise zur Borderline Persönlichkeitsstörung und zur Posttraumatischen Belastungsstörung S3 Leitlinien vorweisen, während zur DIS bisher lediglich Expertenempfehlungen existieren. Aus dieser Perspektive ist mehr Forschung durchaus zu unterstützen.
Weiterhin sollte man mit der Anwendung evaluierter Verfahren vorsichtig sein. EMDR ist für Erwachsene evaluiert, steht allerdings im Verdacht False Memories zu verursachen. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf eine Behandlung und dies sollte durch Therapierende stets im Blick behalten werden.

Die größte Sammlung von Leserbriefen konnte ich auf der Webseite des Vereins Lichtstrahlen Oldenburg finden.
Die Mehrheit der VerfasserInnen hat den Spiegel-Artikel vermutlich als persönlichen Angriff empfunden. Das Bedürfnis, mit dem eigenen Leid wahrgenommen zu werden, war deutlich sichtbar. Das Leid und sogar das Trauma wird zweifelsfrei existieren, wobei die Ursache und dahinter stehende Geschichte durchaus in Frage gestellt werden darf.

An mehreren Stellen wurde die Glaubhaftigkeit der Aussagen Frau Webers in Frage gestellt, obwohl der Spiegel von Belegen in Akten und Protokollen spricht. Gar von absichtlichen Unterstellungen ist die Rede, um das Sorgerecht für ihr Kind zu erhalten.

Ebenfalls wurde mehrfach auf einen vermeintlichen Logikfehler des Artikels hingewiesen:

Weber gibt zu Protokoll, sie befinde sich seit 2010 im Ausstieg aus dem Satanskult.

Dies würde im Widerspruch zu folgender Aussage stehen:

Im Juni 2018 betritt Malin Weber zum ersten Mal die Praxis von Jutta Stegemann in Münster.

Was dabei nicht bedacht wird, dass die damalige Lebenssituation von Frau Weber durchaus in der Therapie zu einem Ausstieg umdefiniert werden kann:

Ohrfeigen vom jähzornigen Stiefvater. Mit elf, sagt sie, habe der Vater eines Freundes sie missbraucht. In der fünften Klasse begann sie stark zu stottern. Das Gymnasium habe sie ohne Abschluss verlassen.
 
Später kommt sie in therapeutischen Wohngruppen unter, in Gastfamilien, psychiatrischen Kliniken.

Ähnliches, was die Einordnung ritueller Gewalt betrifft, dürfte ebenso für Mind-Control zutreffen. So ist in einer Stellungnahme folgendes zu lesen:

Und noch weiter: auch wenn sie nicht an " Mind Control" glauben,was ja nichts anderes bedeutet als " Gehirnwäsche" ,wo ordnen sie da ihren Artikel denn ein?? Das,was sie mit ihrem Artikel tun ist ganz offensichtlich " psychologische Manipulation" ,und genau da fängt “Mind Control” an!!

Auch Gehirnwäsche wurde nie wissenschaftlich bewiesen, darf allerdings nicht mit anderer Beeinflussung, wie Indoktrination, verwechselt werden. Im Kontext satanisch ritueller Gewalt, wird es eher als Programmierung zu unbewussten komplexen Handlungsweisen verstanden, die durch bestimmte Triggerreize ausgelöst werden können. Zumindest letzteres ist nicht haltbar.

In meinen Augen besteht ein berechtigtes Interesse, dass traumatisierte Menschen die Möglichkeit haben eine psychotherapeutische Behandlung wahrzunehmen.
Solange das Problem der Fehltherapie in einem betreffenden Bereich nicht geklärt ist, sollte man meiner Meinung nach jedoch von eventuell schädlichen Therapien absehen. Das Thema “ritueller Missbrauch” dürfte noch nicht lange genug in der Öffentlichkeit diskutiert werden, um einen bestmöglichen Umgang damit gefunden zu haben.
 
Kurios wird es für mich, wenn festgestellt wird …

Es ist auffällig, dass sich immer nur einzelne Protagonistinnen melden, deren Erinnerungen angeblich einsuggeriert wurden.

Dabei sollen doch immer Betroffene angehört werden. Mir erweckt sich der Eindruck, dass Aussagen nur dann glaubwürdig sind, wenn sie die eigenen Thesen bestätigen. Abgesehen davon, wird Wahrheit nicht nach einem Mehrheitsprinzip erzeugt.

Nun gut: Diese Sticheleien helfen nicht. Dennoch bleibt das Problem, dass sich die Begriffe im Laufe der Zeit starkt vermischt haben und unterschiedlich gedeutet werden. Dies macht es schwierig eine fachliche Diskussion zu führen, da sowohl im Spiegel-Artikel, als auch in den Stellungnahmen von DGP und BDP fachliche Argumente vorgelegt wurden, bei all der Empörung jedoch oft unter den Tisch gefallen sind - wie zum Beispiel ändernde Augenfarben oder infantile Amnesie.

Diese Umstände zeigen vielleicht, wie schwer eine fachliche Debatte werden kann - obwohl diese mehr als notwendig ist!

Zum Anschauen und Weiterlesen

Quellen