Die Zeit - Die verlorenen Kinder

Die Zeit berichtet in Ausgabe 23/2024 auf über 10 Seiten darüber, dass zwei Familien das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde. Familie Volkov und Familie Vogel. Die eine Familie hat sechs, die andere fünf Kinder.

Mit involviert war die Diagnostikeinrichtung KiD, Kind in Düsseldorf. Diese existiert seit 1994 und soll dafür da sein, Kindern eine sichere Umgebung zu schaffen. Die Einrichtung beschuldigte beide Familien ihre insgesamt 11 Kinder gemeinsam sexuell missbraucht und dabei gefilmt zu haben.

Beide Fälle wurden am Familiengericht in Köln verhandelt. Die eine Familie erhält das Sorgerecht zurück, die andere Familie - Familie Vogel - hingegen nicht.

Zwei Fälle, eine angebliche gemeinsame Tat, und doch erhielt eine Familie ihre Kinder zurück und die andere nicht - wie kann das sein?

Die Akten sehen eindeutig aus und lassen auch die Journalistin erschaudern, doch sie nimmt sich der Sache an, da ein Informant aus der Justiz sie darum gebeten hatte sich den Fall von Familie Vogel anzuschauen.

Die Geschichte begann mit einem komischen Verhalten und merkwürdigen Aussagen der inzwischen 11 Jahre alten Tochter Mia. Die Vogels machten das, was wohl die meisten Eltern machen würden und suchten sich zum Beispiel Hilfe bei einer Psychotherapeutin, die das Verhalten der Tochter allerdings nicht richtig einordnen konnte. Letztendlich wendete sich die Schule der Tochter an das Jugendamt.

Der Verlauf liest sich wie eine Horror-Story, wobei dieser nicht wirklich überraschend ist, wenn man sich mit dem Thema Ritueller Gewalt beschäftigt. So sind es doch oftmals die gleichen Elemente, die von den Therapierenden und Unterstützerinnen herausgearbeitet werden. Das Erarbeiten von Erinnerungen ist eines davon.

Sowohl Jugendamt als auch Einrichtung suchten geradezu nach Beweisen für Missbrauch. So wurde der Schrebergarten der Familie durchsucht, Computer, Laptops und Handys beschlagnahmt, sogar gynäkologische Untersuchungen durchgeführt. Nichts davon ergab irgendeinen Hinweis auf Missbrauch der Kinder. Auch Mias Geschwister bestritten die Vorwürfe.

Trotzdem entzog die Richterin den Vogels das Sorgerecht. Entscheidend war der Abschlussbericht von KiD, 74 Seiten lang und das einzige Dokument, das einen Einblick in die Zeit der Vogel-Kinder dort bietet. Die darin beschriebenen Äußerungen der Geschwister seien »derart detailreich« und würden »von eigenem Empfinden zeugen«, dass »von einer Erlebnisfundiertheit aus zugehen« sei, schrieb die Richterin in ihrem Urteil.

Obwohl keinerlei Belege eines Missbrauchs vorlagen, beschloss die Richterin anders. Dies erinnert an einem vom Spiegel berichteten Fall, wo ebenfalls gynäkologische Ergebnisse ignoriert wurden und gar medizinische Unmöglichkeiten als Fakt akzeptiert wurden. (Stichwort: sich spontan ändernde Augenfarben).

Der KiD Bericht wurde Susanna Niehaus vorgelegt. Susanna Niehaus ist Professorin an der Hochschule Luzern, Fachpsychologin für Rechtspsychologie und Aussagepsychologische Sachverständige in Strafverfahren. Aus dem Bericht entnimmt sie, dass die Fachkräfte des KiD an den Kindern ein breites Spektrum an Suggestivtechniken angewendet hätten. So sei den Berichten auch zu entnehmen, dass die Kinder keine der angeblichen Situationen selbst geschildert haben und solange nachgefragt wurde, bis es eine Bestätigung von Missbrauch geäußert wurde. Selbst in Zeichnungen der Kinder wurden Bestätigungen gesehen, obwohl diese für eine Diagnostik von Missbrauch nicht zulässig sind.

Im Fall der Volkovs wurde eine Gutachterin vom Gericht beauftrag “besonders die Frage eines sexuellen Missbrauchs zu beleuchten”.

Dass die Kinder der Volkovs ebenfalls von Missbrauch betroffen sein könnten, stützte sich alleine auf die Aussagen der Kinder von Familie Vogel. Diese Aussagen wurden von den Mitarbeitern des KiD als sehr glaubwürdig eingestuft.

Auch das Thema Rituelle Gewalt scheint bei der Einrichtung vorhanden zu sein.

Als Kira mal von einem toten Baby und dann einem neuen Baby sprach, spekulierten sie, dass »ritualisierte Gewalt in Kombination mit Kinderpornografie« ein Faktor sein könnte. Bei ritualisierter Gewalt gebe es ja auch »tote Babys und Opfergaben«.

Die Gutachterin im Verfahren der Volkovs empfahl nach ausgiebigen Untersuchungen, die Kinder der Volkovs ihren Eltern sofort zurückzugeben. Da keiner der Vorwürfe bestätigt werden konnte und die Vorwürfe nur durch die vermutlich suggestiv beeinflussten Kinder der Familie Vogel geäußert wurden.

Im Fall von Familie Vogel besuchte die Richterin die Kinder in einer Einrichtung in Wolfenbüttel. Schon aus den Textzeilen des Artikels wird ein suggestiver Einfluss durch eine dortige Mitarbeiterin deutlich:

Auf die Frage, ob daheim etwas nicht gut gewesen sei, sagte Mia laut einem Protokoll nur: »Dass der Freund vom Vater gesagt hat, dass wir uns ausziehen und hinlegen sollen und von den Hunden ablecken lassen sollen.« Wer dabei war, fragte die Richterin. »Ich und Nadja«, antwortete das Mädchen. Ihre Eltern seien auf der Arbeit gewesen. Sie hätten dem Mann auch nicht gehorcht, und als ihre Eltern heimkamen, hätten die ihn rausgeschmissen. Eine Betreuerin, die bei dem Gespräch anwesend war, hakte ein und erinnerte das Mädchen, dass sie doch mal gesagt habe, dass da mehr passiert sei. »Kannst du dich erinnern?« Mia überlegte, wirkte unsicher.

Die Betreuerin beeinflusst durch das Nachhaken bereits das Kind und forciert, dass da mehr gewesen sein müsste.

Die Journalistin führt ebenso mit Claus Gollmann, dem Leiter des KiD, ein Gespräch.

Claus Gollmann erzählt

»Irgendwas zu suggerieren, damit Eltern schlecht aussehen, ist uns von unserer Ideologie her völlig fremd.«

In Bezug auf die Aussagepsychologie, sieht er die Suggestion nicht in seinen Methoden, sondern als Ergebnis der Kriterien, die in Untersuchungen herangezogen werden.

Die Journalistin sieht zwar eine grundlegende Plausibilität in seinen Aussagen, welche aber verschwinden würde, sobald man sich auf einer wissenschaftlichen Basis mit dem Thema beschäftigt:

Und vieles, was Gollmann sagt, klingt auch erst mal plausibel, entspricht es doch dem, was man intuitiv selbst vermuten würde. Und was in der populären Traumaliteratur immerzu verbreitet wird.
Begibt man sich aber in den Dschungel der Wissenschaft, nimmt Gollmanns Aussagen mithilfe von Experten auseinander, offenbart sich sein Ansatz als höchst fragwürdig, ja gefährlich.

Das Dunkelfeld

Das Dunkelfeld, so heißt auch ein Abschnitt des Artikels. Wie viele Kinder durch die Einrichtung suggestiv beeinflusst wurden bleibt unklar. Berücksichtigt man die Zahlen aus dem Artikel, wird es sich vermutlich um mehrere hundert Kinder handeln.

Allein 22 Gutachter haben von Suggestion und Verfälschung von Aussagen bei 34 Kindern berichtet. Einige der Eltern verloren ihre Kinder. In einem Fall wurde ein Junge erst nach fünf Jahren begutachtet. Die Gutachterin war fest davon überzeugt, dass kein Missbrauch stattgefunden hatte. Aufgrund der fortgeschrittenen Entfremdung empfahl sie jedoch den Verbleib in der Pflegefamilie.

Für eine Langzeitstudie an der Uni Koblenz stellte das KiD Daten aus insgesamt 478 Fällen, aus den Jahren 1994 bis 2018, zur Verfügung. In 93% der Fälle empfahl die Einrichtung die Kinder den Eltern zu entziehen.

Das Schicksal von Familie Vogel scheint kein Einzelfall zu sein, was es allerdings nicht besser macht. Die beiden jüngsten Kinder wurden ihr zu einem sehr frühen Zeitpunkt entrissen. Die Tochter Jana wurde in eine Pflegefamilie gegeben als sie acht Monate alt war. Ewa wurde der Mutter direkt nach der Entbindung weggenommen. Alle paar Monate finden Umgangskontakte statt, wobei die Pflegefamilien von den Kindern anscheinend eher als Bezugsperson wahrgenommen werden. Bei der ältesten Tochter sieht es zum Glück noch anders aus.

Die Vogels sehen ihre Kinder nur selten. Aus dem Artikel geht hervor, dass das Jugendamt die Umgangskontakte für die Kleinsten komplett eingestellt hatte, da die Besuche zu sehr aufwühlen würden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht finde ich solche Maßnahmen äußerst bedenklich und einer Paralleljustiz gleichend.
Nachdem im Herbst 2023 das Strafverfahren eingestellt wurde, versucht Familie Vogel über ihren Anwalt die Umgangsrechte neu zu regeln.

Im Artikel verwendete Pseudonyme:
Kinder Familie Vogel: Lydia (14), Max (13), Nadja (10), Jana (5), Ewa (4), Mia, Kinder Familie Volkov: Irina, Kira, Ronja

Persönliche Anmerkung

Der Artikel schildert deutlich, welche Auswirkungen eine falsche Begutachtung vor Gericht haben kann. Die vermeintliche Expertise der Einrichtung “Kind in Düsseldorf” dürfte zu dutzenden unbegründeten Sorgerechtsentzügen geführt haben. Beschwerdeverfahren ziehen sich oftmals über mehrere Jahre hinweg. Währenddessen erfolgen Umgangskontakte immer wieder in zu großen Abständen, was eine Entfremdung von der Ursprungsfamilie hervorruft.

Die Trennung ist für ALLE Familienmitglieder immer traumatisierend und mit Langzeitfolgen verbunden.

Dass Vorwürfe erst aufgrund einer Ideologie entstehen, ist nicht immer erkennbar. Sobald etwas in Akten festgehalten wird, kommt man als Beschuldigter in die Bedrängnis seine Unschuld zu beweisen. Vielen Betroffenen dürfte es dabei an Expertise und finanziellen Mitteln fehlen, um sich aus solchen Situationen befreien zu können. Daher ist es ratsam sich bei einem Verein zu melden, der bei einer Problemlösung vielleicht unterstützen kann.

Sollten die Bestrebungen der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten erfolgreich sein und die Aussagenpsychologie aus Verfahren verbannt werden, könnte man solchen Einrichtungen vermutlich schwieriger ein Fehlverhalten nachweisen.

Was nicht im Artikel zu lesen ist, dass Claus Gollmann im April letzten Jahres bei Sitzungen des Nationalen Rat teilgenommen hat. Dem Gremium, welches dem Amt der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten anhängt und dem Bundesfamilienministerium beratend zur Seite steht,

Sollten die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Vorwürfe der Suggestion bestätigen, hätten wir eine weitere Organisation im Umkreis der UBSKM, welche aufgrund falscher Missbrauchsvorwürfe gerichtlich bekannt ist.

Freundlich ausgedrückt kann ich nur sagen: Die wissenschaftliche Expertise um das Amt der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten, erscheint auf eine gefährliche Art und Weise mehr homogen als heterogen und noch weniger an Realität orientiert. Bei Größenordnungen, wie sie im Artikel der Zeit dargestellt werden, sollte man doch eigentlich davon ausgehen, dass es anzuraten wäre einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen.

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Quellen