Mission Freedom und Rituelle Gewalt

28. Juli 2024  Medien 10 

Am 16. Juli 2024 berichteten der NDR (Panorama3) und die Süddeutsche Zeitung über das Haus SeeNest im Allgäu, eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen. Betreiber ist die Himmelsstürmer Deutschland gGmbH, welche eng mit dem Verein Mission Freedom verbunden ist. Sie teilen sowohl Personal als auch Anschrift.

Am 16. Juli 2024 berichteten der NDR (Panorama3) und die Süddeutsche Zeitung über das Haus SeeNest im Allgäu, eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen. Betreiber ist die Himmelsstürmer Deutschland gGmbH, welche eng mit dem Verein Mission Freedom verbunden ist. Sie teilen sowohl Personal als auch Anschrift.

Beide Medien kritisieren eine christlich-fundamentalistische Ausrichtung von Mission Freedom und deren evangelikalen Predigerin Gaby Wentland. Sie äußern dabei Zweifel an der Eignung der Einrichtung, traumatisierte Minderjährige richtig zu betreuen.

Konkrete Kritikpunkte zu benennen, verpassen die Berichte überwiegend und lassen lediglich Vermutungen zurück. So wird es für einige Zuschauer nur schwer nachvollziehbar sein, was den Verein so umstritten macht und welche Konsequenzen sich für die im Haus SeeNest untergebrachten Kinder ergeben könnten.

Wer nicht bereit ist die verlinkten Quellen zu sichten wird nur wenig erfahren, außer eine nicht näher benannte kritische Grundhaltung gegenüber Mission Freedom. Doch selbst bei der ein oder andere Quelle darf man sich fragen, ob zum Beispiel eine Anfrage von 2013 noch einen geeigneten Bewertungsmaßstab darstellt, wobei sich die Einschätzung durch die Behörden seitdem wohl nicht geändert hat.

Wesentlich aufschlussreicher wirkt dazu ein Artikel des Skeptikers Bernd Harder, der sich auf konkrete Aussagen des Vereins bezieht und Parallelen zur Satanic Panic aufzeigt.

Das Hauptanliegen des Vereins scheint im Bereich Zwangsprostitution zu liegen. In diesem Blog-Beitrag sollen lediglich die Aussagen des Vereins zum Thema “Rituelle Gewalt” Beachtung finden.

Diesem Thema widmet der Verein auf seiner Homepage sogar eine eigene Kategorie und kaut dort alles durch, was zum verschwörungstheoretischen Narrativ gezählt werden kann.

Rituelle Gewalt ist ein Hauptthema des Vereins Mission Freedom

In den Literaturempfehlungen zum Thema wird nicht nur auf die UBSKM und eine Arbeit am Bundesfamilienministerium verwiesen, sondern ebenso auf den schweizerischen Verein CARA e.V., der durch “Satanic Panic” Reportagen des SRF in den Blick der Öffentlichkeit geraten war.

Misson Freedom zur Dissoziativen Identitätsstörung (DIS)

Nach einer eher allgemeinen Umschreibung, was diese Störung ausmacht und wie sie entsteht, kommt der Verein doch recht schnell auf durch Täter gezielt erzeugte Persönlichkeitsanteile zu sprechen. Ebenso wird geschrieben, dass durch Code-Worte bestimmte Persönlichkeitsanteile hervorgeholt werden können, um zum Beispiel per Befehl als Sexsklavin zu funktionieren.

Auf der Webseite ist ebenso zu lesen, dass bei Opfern nach und nach Erinnerungsfetzen an furchtbare Gewalterlebnisse erscheinen würden, obwohl die bisherigen Erinnerungen an Ihre Kindheit eigentlich auf eine Heile-Welt-Familie schließen lassen. Im Kontext betrachtet scheint der Verein davon auszugehen, dass Erinnerungen an Missbrauch hervorgeholt werden müssten, was sich wissenschaftlich betrachtet in den Bereich der Suggestion einordnen lässt.

Die Erinnerungen an ihre Kindheit deutet eigentlich auf eine Heile-Welt-Familie hin. Im Laufe des Ausstiegs wird dieses Bild jedoch immer weiter zerbröckeln, da immer mehr Erinnerungen hochkommen, die diese scheußliche, brutale und dunkle Realität wiedergeben.

Quelle: Mission Freedom, Rituelle Gewalt, Dissoziative Identitätsstörung

Mission Freedom und die Tätergruppen

Die Beschreibung zu Tätergruppen Ritueller Gewalt zeigt ein häufiges Problem. Eine Vermischung mit Tätergruppen aus anderen Bereichen. Die Beschreibung ist so allgemein, dass theoretisch jede verbrecherisch organisierte Gruppe in den Bereich Ritueller Gewalt eingeordnet werden kann. Große Gruppen, kleine Gruppen, regional, national, international, mal mit und mal ohne Ideologie. Selbst der Bereich sexuelle Ausbeutung ist kein “Muss”, um dort eingeordnet werden zu können.

Was typisch für die Verschwörungstheorie des Satanisch Rituellen Missbrauchs ist, ist eine beschriebene dritte Hauptgruppe, die durch staatlich finanzierte Projekte an Ihren Opfern Mind-Control Methoden anwenden soll.

Auch die genannten Beispiele deuten auf klassische Satanic Panic Fälle hin:

Susanne wuchs in einer Familie auf, die seit vielen Generationen dem Satanismus angehört. Regelmäßig trafen sie sich heimlich bei Mitgliedern des Kreises um Rituale zu feiern und Satan zu huldigen. Typische Elemente eines solchen Rituals sind u.a. sexuelle Ausschweifungen, bei denen Frauen und Kinder vergewaltigt werden. Susanne wurde jedoch nicht nur dort missbraucht, sondern auch an andere Gruppen ausgeliehen, die im Rahmen ihrer eigenen Rituale kleine Kinder „benötigten“. Da in Susanne von Geburt an eine Dissoziative Identitätsstruktur gezielt erzeugt wurde und sie durch die ihr angetane Gewalt geprägt war, konnte ihre Gruppe mit ihr viel Geld dadurch verdienen, dass andere Gruppen sie ausgeliehen haben. Regelmäßig wurde sie an pädophile Freier verkauft, die sie missbrauchten. Die Gewalthandlungen an ihr wurden von der eigenen Gruppe gefilmt. Dadurch entstand sowohl Material, das im Internet als Kinderpornografie verkauft werden konnte, als auch gegen die Freier erpresserisch genutzt werden konnte. Manchmal wurde Susanne zu großen Privatpartys gebracht, bei denen viele Kinder auf einem Anwesen den Wünschen der Gäste zur Verfügung stehen mussten. Manche der anderen Kinder haben die Partys nicht überlebt.

Mission Freedom und Mind Control

Dass Täter ein Interesse daran haben Ihre Straftaten nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, sollte sich von selbst verstehen. Ebenso dass Täter ihre Opfer in eine Art Abhängigkeit bringen wollen, steht nicht zur Diskussion.

Was jedoch durchaus hinterfragt werden sollte sind Aussagen wie die folgenden …

In manchen Gruppierungen werden einzelne Persönlichkeitsanteile für spezielle Kundenwünsche und Fetische der Zwangsprostitution ausgebildet.

Das Training findet besonders bei denjenigen Kindern statt, die neben dem regelmäßigen Missbrauch noch ein Alltagsleben u.a. mit Schule haben und möglichst unauffällig sein sollen. Aufgrund der dissoziativen Barrieren der Dissoziativen Identität funktioniert dies bis zum Erwachsenenalter in der Regel.

Die folgende Annahme immunisiert gegen jede Form von Misstrauen zu Therapierenden. Entstehen Zweifel, liegt das an angeblichen Programmen, die die Therapie sabotieren sollen. Zweifel werden im Keim erstickt.

Die Gruppen ahnen, dass es im Erwachsenenalter der Betroffenen Persönlichkeitsanteile geben wird, die sich Hilfe suchen und z.B. zur Therapie gehen werden. Daher trainieren sie vorab andere Persönlichkeitsanteile darin, diese Hilfe zu blockieren. Mittels extremer Gewaltanwendung und Foltermethoden spalten sie neue Anteile ab und geben diesen Aufgaben.

Definition Ritueller Gewalt

In seinen Aussagen bezieht sich der Verein auf eine durch den Spiegel kritisierte Studie zum Thema Rituelle Gewalt. Im Zuge der öffentlichen Diskussion, distanzierten sich die Autoren zwischenzeitlich von einigen der verwendeten Begriffe.

Im Jahr 2018 schrieben die Autoren Folgendes:

Als bezeichnend für organisierte und auch rituelle Gewalt gelten spezifische Formen der Bewusstseinsspaltung und -manipulation. Über extreme Gewaltanwendungen in der Kindheit und Jugend wurde die sich entwickelnde Persönlichkeit dissoziativ in verschiedene innere Anteile aufgespalten. Die so entstandenen Persönlichkeitsanteile werden von den Tätern und Täterinnen gezielt für ihre Zwecke trainiert und genutzt.

Der Verein gibt Susanne Nick als Verfasserin an. Laut einem Protokoll des Nationalen Rat, war Susanne Nick im Jahr 2022 zum Thema “Impulse zu Fortbildung von Fachkräften aus Psychotherapie, Traumapädagogik und Beratung” anwesend. Auch bei der Aufarbeitungskommission ist Susanne Nick bekannt.

Mission Freedom und der Ausstieg aus Strukturen ritueller Gewalt

Unter Ausstieg versteht der Verein die Trennung aus den Strukturen organisierter ritueller Gewalt. An dessen Anfang soll das Erinnern an erlebte Gewalt stehen. Damit zeigen sich erneut Hinweise auf die Verwendung suggestiver Verfahren.

Zu einem großen Teil dürften mit diesen Strukturen die eigenen Familien gemeint sein. Zwar findet Missbrauch tatsächlich zu einem großen Anteil im familiären Umfeld statt, in Bezug auf das Thema Rituelle Gewalt dürften dies jedoch eher Unterstellungen ohne realen Hintergrund sein. Ausstieg aus einer Rituellen Gewalt Struktur, wird somit überwiegend eine Trennung von Familie und Freundeskreis bedeuten.

Durch ein Herausreißen aus dem sozialen Umfeld entsteht eine zusätzliche Destabilisierung. Die Bindung zum Helfersystem kann dadurch intensiviert werden. Solch ein Vorgehen kennt man eigentlich von Sekten.

Formulierungen auf den Webseiten von Mission Freedom deuten ebenso darauf hin, dass Hilfesuchende den Gefühlen von Schuld und Scham ausgesetzt werden, wenn nicht sogar vollständige Wesensänderungen angestrebt werden:

Begleiter im Ausstieg brauchen eine Offenheit im Zuhören und sollten einen Raum für Themen wie eigene Täterschaft, Schuld und Scham geben, der frei von jeglicher Verurteilung ist. Gerade bei Ritueller Gewalt wird deutlich, dass Ausstieg zwar auch mit einem äußerlichen Schritt zusammenhängt, es sich aber grundlegend vor allem um einen inneren Prozess handelt. Wer jahrelang gezielter Manipulation, Folter und Gehirnwäsche ausgesetzt war, braucht Zeit, diese Muster im eigenen Denken, Fühlen und Handeln zu verstehen und neu zu lernen.

Mission Freedom – Positionierung

Mission Freedom scheint den verschwörungstheoretischen Teil des Themas Ritueller Gewalt komplett zu unterstützen. In einem Kritik-Video zur ZDF Magazin Royale Sendung “Ritueller Gewalt”, bestätigt eine Sprecherin dies;

Ja, rituelle Gewalt existiert. Ja, Mind-Control existiert und ja, Kinderprostitution existiert. Hier in Deutschland, hier in Europa. Wir als Mission Freedom kennen und begleiten Menschen, die von ritueller Gewalt betroffen sind […]

Mission Freedom und seine Fälle

Die Süddeutsche Zeitung erwähnt in ihrem Artikel die Geschichte einer vermeintlich minderjährigen Zwangsprostituierten “Lisa”. Ermittlungen des LKA Hamburg ergaben, dass die Geschichte frei erfunden war. Der Verein vermarktete die Geschichte über einen längeren Zeitraum und warb damit für die eigene Arbeit. Nach Bekanntwerden der Untersuchungsergebnisse, verzichtete der Verein auf eine weitere Verwendung des Falls.

Die Seriosität des Vereins darf jedoch angezweifelt werden. So berichtet Bernd Harder, dass der Verein weiterhin Fälle für sich nutzt, die nicht auf realen Erlebnissen basieren:

Der frei erfundene Fall von Laurel Rose Willson

Die Zulassung für das Haus SeeNest

Auf eine Anfrage der Abgeordneten Gabriele Triebel an den Bayerischen Landtag, wird eine Betriebserlaubnis gemäß §45 SGB VIII bescheinigt. Eine Freigabe wurde ebenso für Fälle bei Inobhutnahmen, nach §42 SGB VIII, erteilt.

Zur Rolle der Jugendämter bestehen widersprüchliche Aussagen. Die Berichte betonen eine kritische Grundhaltung des zuständigen Jugendamtes zur Betriebserlaubnis, während die Antwort des Landtages zumindest von einer Abstimmung mit dem Kreisjugendamt Oberallgäu schreibt.

Auf der Webseite des Haus SeeNest werden ebenso Erziehungshilfemaßnahmen nach §35a SGB VIII angeboten. Dieser Paragraf bezieht sich auf Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit seelischer oder drohender seelischer Behinderung. Gemeint sind damit psychische Erkrankungen. Interessant wäre es somit, wie viele der Schützlinge die Diagnose einer Dissoziativen Identitätsstörung erhalten haben.

Aus den Berichten von Panorama und der Süddeutschen Zeitung lassen sich keine Informationen zu den geprüften Behandlungskonzepten ableiten. Der Bayrische Landtag antwortet sogar man könne aufgrund fehlender Erfahrungen das fachliche Konzept des Vereins nicht bewerten. Dabei sollte man doch meinen dies wäre eine Grundvoraussetzung, um eine Betriebserlaubnis zu erteilen.

Mögliche Konsequenzen

Berücksichtigt man die Aussagen zum Thema Ritueller Gewalt, könnte im therapeutischen Setting eine Wiedergewinnung traumatischer Erinnerungen forciert werden.

Welche Konsequenzen sich daraus für die Kinder und Jugendlichen ergeben würden, lässt sich aus ersten Untersuchungen von Michaela Sonnicksen vermuten.

In einer Reportage des SWR hieß es dazu:

O-Ton 19 Michaela Sonnicksen, Rechtspsychologin:
Der wichtige Befund war, dass es nach diesem Wiedererinnern, bei dem dann der/die TherapeutIn so eine Vorannahme hatte, dass ein verdrängtes Trauma zugrunde liegt, nach diesem Wiedererinnern ging es fünf Prozent der Personen besser. 60 Prozent ging es erstmal deutlich schlechter. Dann hat sich das aber über die Zeit wieder verbessert. Wir wissen allerdings jetzt dann nicht, auf welches Niveau sich das am Ende verbessert hat. Aber wirklich wichtig war zu sehen, dass es 30 Prozent dieser Personen dauerhaft schlechter ging durch diese Wiedererinnerung.
 
Sprecherin:
Konkret: durch das Wiedererinnern innerhalb der Therapie. Bei der waren die Behandelnden oft schon vor den angeblichen Opfern überzeugt, dass diese missbraucht worden waren. Und entsprechend suggestiv fragten sie, wie Therapierte berichteten. Dabei ging es den Betroffenen schon vor der Therapie nicht gut, sonst wären sie gar nicht erst hingegangen. Da ließe sich natürlich noch behaupten, das komme eben von verdrängten Erinnerungen, auch wenn es weder für diese Erinnerungen noch für diese Theorie Belege gibt.

Die möglichen Konsequenzen lassen sich grob zusammenfassen:

  • Verschlimmerung bereits vorhandener Symptome
  • Hinzukommen neuer Symptome, bis hin zu Psychosen
  • Destabilisierung und/oder Traumatisierung
  • Soziale Isolation und/oder soziale Entfremdung

Durch die Schweigepflicht bei Psychotherapien, ist eine Einsicht in Behandlungsakten nur schwer möglich. Liegt die Gesundheitsfürsorge beim Jugendamt, wäre für dieses eventuell die Möglichkeit einer Akteneinsicht gegeben. Im Großen und Ganzen bietet die Situation viel Spielraum für Willkür und Fehlbehandlung.

Für die Kinder kann man nur das Beste hoffen!

Zum Weiterlesen

Quellen